Großer Brachvogel
Großer Brachvogel (Numenius arquata)
Rote Liste Deutschland 2007: Kategorie 1 (vom Aussterben bedroht)
Der Große Brachvogel erreicht die Größe eines Haushuhns und ist ein Charaktervogel der spät gemähten Niederungswiesen und Weiden in ausgedehnten Grünlandgebieten des Tieflands.
Der Große Brachvogel ist Norddeutschland noch gut vertreten, in Mitteldeutschland fehlt er weitgehend und im Süden brütet er nur lokal und spärlich. Der deutsche Brutbestand zählt gegenwärtig etwa 3.300 Brutpaare, nimmt aber tendenziell weiter ab (Südbeck et al. 2005). Der europäische Gesamtbestand beträgt ca. 220.000 – 360.000 Brutpaare, davon entfallen 11.000 – 13.000 auf Mitteleuropa. Hier bilden vor allem die Niederlande einen Verbreitungsschwerpunkt mit zwei Dritteln des mitteleuropäischen Bestandes (Bauer et al. 2005). Der Gesamtbestand in Deutschland liegt bei 3.700 bis 5.000 Brutpaaren (Sudholdt et al. 2013).
Europa
Der Große Brachvogel brütet in Mittel- und Osteuropa sowie in Skandinavien. Die größten Bestände sind in Nordeuropa konzentriert; im Süden Europas wird er deutlich seltener. In Teilen Nordwesteuropas, z.B. an der bretonischen Küste, in Norddeutschland und auf den Britischen Inseln ist er das ganze Jahr über zu finden.
Feuchtes Grünland
Ursprünglich brütete er im baumlosen Moor und hier vor allem in Niedermoorgebieten. Heutzutage lebt er in den letzten, ausgedehnten Mooren der norddeutschen Tiefebene, in Streuwiesen, Feuchtwiesen, Marschen, Dünenlandschaften, Verlandungszonen und Heidegebieten, manchmal auch auf Feldern. Außerhalb der Brutzeit finden sich die Tiere an Wattküsten und Wiesen ein.
Der Große Brachvogel zeigt eine Vorliebe für Neststandorte, die sich durch eine lückige, kurze bis mäßig hohe Vegetation auszeichnen. Er hält sich von höherer Vegetation wie Gehölzen mit einem Mindestabstand von 150 m fern.
Er besiedelt ausgedehnte, extensiv bewirtschaftete Grünlandflächen, die als Wiese, Weide oder Mähweide genutzt werden. Vor allem bevorzugt er feuchtes Grünland, da sich hier zu Beginn der Brutzeit günstige Lebensbedingungen in Form von schütterer und niedriger Vegetation finden. Die artenreichen Feuchtwiesen weisen außerdem ein höheres Nahrungsangebot auf als die intensiv genutzten Grünlandflächen.
Da die Brachvögel ihrem Geburts- und Brutort sehr treu sind, halten sie selbst nach Umbruch einer Wiese zu Ackerland an ihrem Brutplatz fest. Brüten sie auf Ackerland, ist dies vor allem durch ihre Reviertreue bedingt und zeigt keine Vorliebe für den Lebensraum Acker an, sondern eher, dass der ursprüngliche Wiesenbiotop bereits zerstört ist.
Bestand
In früheren Jahrhunderten fand der Große Brachvogel genügend Moorflächen und natürliche Flussniederungswiesen als Bruthabitate vor. Seit Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich der Brachvogel in Folge der Rodung der Auwälder und deren Umwandlung in Wiesengebiete, durch Landgewinnung an den Küsten und zunehmende Grünlandnutzung sowie deren extensive Nutzung ausbreiten und im Bestand zunehmen.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Bestandstrends durch Lebensraumverschlechterungen und die Zunahme der Störungen in den Brutgebieten gegenläufig. Mit der großflächigen Zerstörung der Moore wichen die Tiere zunehmend auf Grünland aus. In den letzten Jahrzehnten haben sich mancherorts die Bestände in Grünlandgebieten mit speziell auf Wiesenbrüter abgestimmten Pflege- und Schutzmaßnahmen halten können. In den meisten Bundesländern ist der Bestand zurückgegangen, wobei vor allem kleinere Populationen ganz erloschen sind.
Der großflächige Rückgang des Großen Brachvogels hat mehrere Ursachen.
Zerstörung des Lebensraumes
Geeignete Brutbiotope gehen infolge landwirtschaftlicher Maßnahmen verloren. Hier spielen Grünlandumbruch zu Ackerland, frühe Schnittzeitpunkte und häufigere Schnittfolgen auf Wiesen durch Silagenutzung, Verlust des Mikroreliefs durch intensive Flächenbearbeitung, Überführung von extensiv genutzten Streuwiesen in Mähwiesen oder durch Aufgabe der Nutzung mit einhergehender Strukturveränderung der Vegetation durch Sukzession (Verbuschung, Verschilfung oder ähnliches) eine Rolle. Durch starke Düngung und Einsaat hochproduktiver Gräser wachsen die Wiesen schnell und dicht hoch, so dass sie vom Großen Brachvogel gemieden werden. Auch können Schaf-, Kuh- oder Pferdeweiden als Bruthabitat zerstört werden, wenn die Tiere in großer Zahl oder bis in die Brutzeit dort gehalten werden. Durch Entwässerung, Überbauung von Wiesen durch Ausweitungen von Siedlungen, Straßen und Gewerbegebieten sowie stellenweise durch Kiesabbau in den Talauen werden weitere Bruthabitate beeinträchtigt oder zerstört.
Da Brachvögel eine starke Bindung an ihren Brutplatz haben, versuchen sie, auch dann noch am gewohnten Platz zu brüten, wenn sich die einstigen Streuwiesen in Äcker verwandelt haben. Da diese jedoch häufig bearbeitet werden, sich die Vegetationsstruktur dort schnell verändert und nur wenig Nahrung zu finden ist, ist die Brut meistens nicht erfolgreich. Der gegenwärtige Bruterfolg ist in vielen Brutgebieten zu niedrig, um den Bestand des Großen Brachvogels langfristig zu erhalten. Im Juli und August, wenn sich die Tiere in der Vollmauser befinden, sind sie oft flugbehindert und können nur langsam vor drohenden Gefahren flüchten. Mausergebiete sind deswegen besonders störungsempfindliche Plätze.
Störungen
Mit der Zunahme und dem Ausbau der Flurwege nimmt auch die Zahl der Störungen, z.B. durch Spaziergänger mit freilaufenden Hunden, in den Brutgebieten zu.
Auengebiete werden häufig auch als Flugplätze beansprucht. Dies hat negative Auswirkungen auf die in unmittelbarem Umfeld brütenden Großen Brachvögel, da sie durch die große Anzahl anwesender Menschen und Flugobjekte gestört werden. Demzufolge brüten die Brachvögel weniger erfolgreich, verlassen ihre ansonsten geeigneten Reviere vorübergehend oder geben diese dauerhaft auf. Verschiedene Einflüsse von sehr unterschiedlichen Freizeitaktivitäten der Menschen in Brachvogel-Brutgebieten können sich in ihrer Wirkung auf Brachvögel gegenseitig verstärken. Werden bewirtschaftete Gebäude gebaut, werden Brachvögel ebenfalls vertrieben, da sie sich nur in großer Entfernung zu diesen aufhalten. Ähnliches gilt für den Bau von Straßen und Wegen durch Wiesenbrütergebiete.
Auch Witterungseinflüsse und spät im Jahr eintretendes Hochwasser kann gelegentlich zu Gelege- und Jungtierverlusten führen.
Lebensraum erhalten
Wenn es gelingt, großflächig extensiv genutztes Feuchtgrünland und Niedermoore zu erhalten, ist schon ein großer Schritt für den Erhalt der Art getan. Folgende Maßnahmen tragen ebenso hierzu bei:
Grünland darf nicht zu früh im Jahr oder zu oft hintereinander gemäht bzw. beweidet werden, da die Gelege sonst durch die Bearbeitung oder durch Viehtritt zerstört werden. Eine Extensivierung der Wiesennutzung mit Vernässung verzögert die Vegetationsentwicklung im Frühjahr, optimiert die Vegetationsstruktur und erhöht die Vielfalt der Mikrohabitate. Infolge des Strukturwandels in der Landwirtschaft ist auch in Zukunft mit einer weiteren Abnahme der Milchviehwirtschaft und damit der Grünlandnutzung zu rechnen. Primär sollten die noch vorhandenen Lebensräume erhalten bzw. optimiert werden. Dazu gehört auch die Anhebung des Grundwasserstandes und der Erhalt wassergefüllter Wiesensenken.
Durch Ankauf von Auenwiesen können sie nachhaltig geschützt werden. Negativ wirken sich Maßnahmen aus, die den Lebensraum verkleinern oder zerschneiden (Bebauung, Windenergieanlagen, Straßenbau).
Umweltverträglicher Luft- und Landsport
Durch ein Wegegebot und den Verzicht auf Modellflugplätze in Wiesenbrütergebieten können die negativen Auswirkungen der Freizeitnutzung auf die Brutbestände des Großen Brachvogels minimiert werden. Modellflugplätze in Wiesenbrütergebieten sollten in landwirtschaftlich intensiv genutzte Gebiete verlagert werden. Straßen und Wege in störungsempfindlichen Gebieten sollten zumindest in der Brutzeit gesperrt oder besser verlegt werden.
Systematik
Ordnung: Charadriiformes (Schnepfen-, Möwen-, Alkenvögel)
Familie: Scolopacidae (Schnepfen)
Aussehen
Kennzeichnend für den Großen Brachvogel ist der bis zu 15 cm lange, im vorderen Drittel deutlich nach unten gebogene Schnabel, der beim Weibchen deutlich länger ist als beim Männchen.
Das Gefieder ist graubraun und gleichmäßig längsgestreift bzw. gebändert. Im recht langsamen, möwenähnlichen Flug fallen der weiße Rückenkeil und die dunklen äußeren Handschwingen auf. Seine Flügel erreichen eine Spannweite von 110 cm. Der Schnabel ist dunkelgrau, die Füße grünlichgrau gefärbt. Der Kopf ist ebenfalls längsgestreift, manchmal findet sich dort ein schwach angedeuteter heller Scheitelstreif.
Fortpflanzung
Der Große Brachvogel trifft ab Anfang März bis Ende April im Brutgebiet ein; die genaue Ankunftszeit unterliegt witterungsbedingten Schwankungen. Er verweilt hier bis in den Juli hinein.
Gleich nach seiner Ankunft zeigt das Männchen seinen eigenartigen, als Girlandenflug bezeichneten Balzflug, mit dem es das Brutrevier umkreist. Vor allem früh in der Morgendämmerung und abends hört man seinen melodischen Trillerruf. Balzt das Männchen auf dem Boden, umläuft es das Weibchen mit trippelnden Schritten, emporgestreckten Flügeln und gespreiztem Schwanz.
Das Männchen bietet dem Weibchen mehrere Nestmulden an. Das Weibchen wählt eine davon als späteren Neststandort. Das Nest wird vor allem in trockeneren Bereichen und in niedriger Vegetation angelegt, wobei es dennoch gut in der Vegetation verborgen ist. Ist der Boden zu nass, weicht der Brachvogel auf Grasbüschel aus. Er verwendet trockene Gräser und Seggen zur Auspolsterung der Mulde.
In Mitteleuropa legt er die ersten Eier frühestens in der ersten Aprilwoche, der späteste Zeitpunkt ist Anfang Mai. Das Weibchen legt meist 4 Eier in Intervallen von 1 – 3 Tagen, beide Partner brüten diese 26 – 30 Tage lang aus. Wird der Vogel während des Brütens gestört, verlässt er zunächst zu Fuß und in Deckung das Nest. Er fliegt erst in einiger Entfernung zum Nest auf, um den Standort des Geleges oder der Jungtiere nicht zu verraten.
Die Jungen schlüpfen innerhalb von etwa 36 Stunden aus. Sie kommen mit kurzen geraden Schnäbeln aus dem Ei. Erst am 21. Tag beginnt sich der Schnabel zu krümmen und nach 2½ Monaten erreicht er seine endgültige Länge. Mit 28 Tagen sind die Jungen fast voll befiedert und mit 4 Wochen beginnen sie zu fliegen.
Nahrung
Der Große Brachvogel sucht seine Nahrung bevorzugt auf besonders feuchten Flächen, die sich durch eine fehlende oder lückige Pflanzendecke auszeichnen. Seine Hauptnahrungsreviere bilden überschwemmte Wiesen, dauerhaft wassergefüllte Vertiefungen (Blänken) in Wiesen, Flachwasserzonen an Stillgewässern und seltener an Fließgewässern, aber auch an Küsten.
Er frisst vor allem wirbellose Tiere wie Würmer, Schnecken, kleine Muscheln, Krebstiere, Insekten in allen Entwicklungsstadien und Spinnen. Auch kleine Fische, Jungfrösche, Molche sowie Beeren, Samen und grüne Pflanzenteile stehen auf seinem Speiseplan. Durch seinen robusten Schnabel ist er in der Lage, auch auf trockenen Flächen Nahrung zu suchen, indem er den Boden durchstochert.
Natürliche Feinde
Zu den natürlichen Feinden gehören Säugetiere (vor allem nachts jagende Beutegreifer wie Fuchs, Marder und Wildschwein) sowie Raben- und Greifvögel.
Verhalten
Der Große Brachvogel ist wachsam und sehr scheu. In der Vegetation ist er nicht leicht zu entdecken. Er überwintert bereits in Westeuropa, zieht aber regelmäßig in breiter Front nach Südeuropa und Afrika. Außerhalb der Brutzeit können sich große Schwärme, z.B. an der Nordseeküste, bilden. Im Wattenmeer machen sie bei reich gedecktem Tisch Rast. Am Bodensee hat sich eine Überwinterungstradition gebildet. Einige Hundert Tiere stellen sich hier in den Wintermonaten ein. Außerhalb der Brutzeit bilden Brachvögel Gemeinschaftsschlafplätze aus.
Der Große Brachvogel ist ein ausgezeichneter Flieger mit relativ großen, langen und schmalen Flügeln. Auf dem Zug fliegt er mitunter in sehr großer Höhe, die über 6.000 m betragen kann.
Die Lautäußerungen des Großen Brachvogels sind vielgestaltig und meistens sehr wohltönend. Der häufigste Ruf „tlaüh“ höhrt sich klagend-flötend an. Wenn er erregt ist, ruft er „kwikwikwik...“. Besonders melodisch ist der sogenannte Balztriller, den er auch außerhalb der Brutzeit hören lässt. Er beginnt mit langsamen „tlaüh“-Rufen, die immer rascher und lauter werden. Diese stimmungsvolle Strophe kann man bei fliegenden und bei am Boden stehenden Tieren hören.